Hanna

„Mit sechzehn sagte ich still ich will, will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen, mit sechzehn sagte ich still, ich will, will alles oder nichts.“

Bevor ich im Alter von 16, als ich bereits auf der Brockwood Park School in England zur Schule ging, das Leben liebte und wieder Ziele, Freude und Sicherheiten genoss, war mein Lebenswille, meine Motivation und Hoffnung tief gefallen. Im Alter von 12-15 brannte zuhause die Luft, in der Schule war ich die Anführerin der Außenseiter und selbst unter den Punks, mit denen ich mich gerade optisch sehr identifizierte, fand ich wenig Gleichgesinntheit. Meine Noten wurden schlechter, die Eskalation zuhause schlimmer  und der Wille zu leben nahm ab. Mein Verhalten wurde immer selbstgefährdender und ich trieb alles Mögliche zum Extrem, immer in der Hoffnung, dass ich eines Tages aufwache und alles wieder gut ist. 2006 kam Gundula Liebisch mit einem Theaterprojekt an die Montessori Schule und nicht nur die Rollen und Ausdrucksspiele, sondern viel mehr die Tatsache, dass ich seit langem zum ersten Mal erkannt, an- und ernstgenommen wurde, führten dazu, dass ich Vertrauen gewann und nach dem Projekt weiterhin Gundulas Hilfe in Anspruch nahm und regelmäßig zur intuitiven Körperarbeit nach Stefling kam. Zusätzlich begann ich bei Berenika Kmiec Tanztheater, was mir enorm half, zu meiner körperlichen Mitte zurück zu finden. Anfang 2007 motivierte mich Gundula mit organisatorischem, seelischem und finanziellem Beistand, mich auf ein Stipendium auf einer von Krishnamurti gegründeten, freien Schule in England  zu bewerben. Die Tatsache, dass fast fremde Menschen an mich glaubten und für mich kämpften, ohne Gegenleistung und wir gemeinsam das Unmögliche erreichten, war für mich der Absprung in ein neues Leben mit Zuversicht, Mut und Kampfgeist für eine Zukunft. Von Selbstzerstörung zur Selbstachtung.

„Für mich soll‘s rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen. Das Glück sollte sich sanft verhalten, es sollte mein Schicksal mit Liebe verwalten.“

Während ich in drei Jahren England meine Vergangenheit aufarbeitete, wuchs, und lernte Verletzungen und Nähe zuzulassen und gesunde Beziehungen zur Welt und anderen Menschen aufbaute, verstand ich, dass ich alles schaffen kann und setzte mir große Ziele, die Welt auch für andere zu verbessern.

„Und später sagte ich noch, ich möchte verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren, und später sagte ich noch, ich möchte nicht allein sein und doch frei sein.“

Brockwood verließ ich zwar ohne anerkannten Schulabschluss, jedoch mit einer großen Portion Lebenslust. Ich arbeitete über ein Jahr in verschiedenen Jobs, von Haushälterin in der Schweiz über Hundesitter zur Nanny und sogar in einem Krankenhaus. Ich machte Praktika in verschiedenen Bereichen, vom Management bis zur Heimerziehung. Zwischendurch reiste ich durch verschiedene Städte Europas und tourte durch Deutschland, wo ich meine weit verstreute Familie besuchte. Im Frühjahr 2011 legte ich kurzerhand meinen MSA ab und brach auf nach Israel, wo ich vorerst in einem Kibbuz in der Wüste Negev voluntierte. Ich erforschte Kulturen und Religionen, fand Liebe und musste Abschied nehmen, da mich die Neugier weiter östlich, erst in die arabische Welt und dann weiter nach Indien trieb. Mit wenig Geld, nur Vertrauen und ein bisschen Charme, schlug ich mich durch als Mitfahrerin auf klapprigen Anhängern oder Gast auf Dachböden. Ich lernte wahre Gastfreundschaft und bedingungslose Hilfsbereitschaft kennen, von Leuten, die fast gar nichts hatten und doch alles gaben. Mal wieder.

„Und heute sage ich still, ich sollte mich fügen, begnügen, ich will mich nicht fügen, will immer noch siegen, will alles oder nichts.“

Am 6. August beginnt für mich in Berlin, die Ausbildung zur Erzieherin, bei der ich außerdem dual die allgemeine Hochschulreife erlange. Ich glaube zwar nicht, dass man den geradlinigen Weg wählen muss und dass man auch ohne Anpassung ein glückliches und erfülltes Leben führen kann, dennoch ist es definitiv gemütlicher ein aberwitziges Diplom zu haben, das der Welt mitteilt was man ist. Solange ich das System mit einem Augenzwinkern schultern kann, bringt es mir zumindest gesellschaftliche Sicherheit. Neuerdings habe ich auch das Gefühl, meine Passion endlich gefunden zu haben und sehe mich in den kommenden Jahren im filmdokumentarischen Auslandsjournalismus.

„Für mich soll’s rote Rosen regnen, mir sollten ganz neue Wunder begegnen. Mich fern von Altem neu entfalten, von dem was erwartet das Meiste halten. Ich will, ich will!“

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